Darf ich mich vorstellen?

Grüß Gott (so sagt man bei uns im Schwabenland) an alle!

Mein Name ist Johannes Heimann, ich bin 63 Jahre alt und seit einem Jahr im vorgezogenen Ruhestand. Insofern spielt mein medizinischer Doktortitel keine Rolle mehr – wir lassen ihn weg. Thorsten Boomhuis hat mich in diese Gruppe eingeladen, dass ich dann und wann, so wie es passt und geht, ein bisschen über die Parkinson-Erkrankung zu schreibe. Wir haben uns in einer anderen Facebook-Parkinson-Gruppe kennengelernt, in der ich schon recht viel geschrieben habe.

Vielleicht sind auch Euch meine Beiträge dann und wann hilfreich. Denn ich sehe meine eigene Parkinsonerkrankung zum einen als selbst Betroffener, zum anderen als Arzt. Ich bin zwar kein Neurologe, aber kenne mich (leider) mittlerweile ganz gut mit der Geschichte aus.

Ich will heute – auch damit Ihr mich kennenlernt – meine Geschichte erzählen und dabei zwei besondere Dinge ansprechen, zu der jeder von Euch auch seine eigene Meinung hat:

  1. Verdrängung und andere merkwürdigen Streiche, die einem das Unterbewusste spielt
  2. Was sind Vorsymptome?
  3. Was sind die Hauptsymptome?

Der lange Weg bis zur Diagnose

Am 11. Oktober 2016 ging ich zum Zahnarzt. Was er da in meinem Mund machte, war mir ziemlich egal. Ich konzentrierte mich darauf, das Zittern in meinem linken Bein zu verbergen. Ich wusste: der eigentlich wichtige Termin ist erst in einer Stunde: der lange aufgeschobene Besuch bei einem Neurologen.

Am 11. Oktober versuchte ich zum letzten Mal, meine Symptome zu verbergen.

Ich bin passionierter Fahrradfahrer. Die 21 km morgens von zu Hause zu meiner Praxis und abends 21 km zurück, und das 3-4-5 mal pro Woche war der richtige sportliche Ausgleich zu 10 Stunden täglich Sprechstunde. Im Sommer brachte ich mein Fahrrad zum Fahrradgeschäft – irgendetwas würde bremsen, irgendetwas war zäh, ich brauchte viel mehr Kraft. Die Fahrradspezialisten fanden nichts.

Wenige Wochen zuvor war mir aufgefallen, dass nach etwa 10 km Fahrstrecke der linke Arm grob zitterte. Nein, ich dachte mir nur kurz das Richtige, dann war es schnell wieder weg.

Im August hatte ich einen ziemlich heftigen Fahrradunfall – ein Schuljunge nahm mir die Vorfahrt. Als ich auf der Intensivstation lag – und sich mein Leberriss von selbst und ohne Operation verschloss – wusste ich, dies ist nur eine Nebensache: das Eigentliche, dem gucke ich ein anderes Mal in die Augen. Als ich wieder in meiner Praxis war – ich war damals noch niedergelassener Frauenarzt – sagten mir viele Patientinnen: „Den Fahrradunfall merkt man Ihnen aber noch deutlich an!“ Wenn die wüssten…

Auch vor meinem Unfall fragten mich viele Patientinnen: „Irgendwie sind Sie anders geworden. Was ist mit Ihnen?“ Es war liebes Mitfühlen und -ahnen lieber Mitmenschen.

Ich bin ein überzeugter klassischer Schulmediziner. Mein Fachgebiet – die Frauenheilkunde und Geburtshilfe – hat mir immer viel Spaß gemacht, vor allem die vielen Patientinnen und viele fröhliche Schwangere, die das Ganze zum Leben gebracht haben. Dazu noch mein Spezialgebiet: vorgeburtliche Diagnostik, besondere Ultraschall-Qualifikationen. DEGUM II – eine ziemlich bedeutsame Qualifikation – heute alles bedeutungslos geworden – ein Ebenholzrähmchen hebe ich mir für persönliche Dinge auf.

Ich habe eine gute diagnostische Spürnase, und die reicht weit über das Fachgebiet Frauenheilkunde hinaus. Der ganze Mensch interessierte mich. Und so war ich häufig nicht nur der Frauenarzt, sondern auch der Allgemeinarzt. Wir sprachen über Lebererkrankungen, Hauterkrankungen, einige offenbarten mir als erstem ihre Alkoholabhängigkeit, ihre psychiatrischen Probleme, das Riesenthema Depression und vieles andere mehr. In meinem Bücherschrank standen neben den Lehrbüchern für Kinderheilkunde und Dermatologie auch Lehrbücher der Neurologie.

Auch im neurologischen Lehrbuch las ich viel nach: Pille und Epilepsie? Schwangerschaft und Hirntumoren? Depression und neurodegenerative Prozesse? alles nicht unwichtig auch für einen Frauenarzt.

Jahre der Verdrängung

Nach jenem 11. Oktober 2016 stellte ich fest, dass ich seit Jahren die Seiten „Parkinson-Syndrom und verwandte Erkrankungen“ immer überblättert hatte. Obwohl ich Anlass dazu gehabt hätte, auch hier mal nachzuschauen: „Laufen Sie doch bitte mal den Gang rauf und runter… vielleicht wäre es doch einmal gut, wenn Sie einen Neurologen aufsuchen würden. Soll ich mal bei einem Freund anrufen?“ Was mir bei anderen gelang – auf mich selbst wendete ich dies nicht an.

So gut arbeitet die Verdrängung auch bei einem nüchtern-kühlen Arzt.

Seit 8 Jahren rieche ich nichts mehr. Nun gut – ich hatte 4 Nasennebenhöhlen-Operationen und rotzte immer noch Schleim und Eiter.

Ich bin Hobby-Geiger, ein recht guter dazu. 2015 spielte ich in meinem ambitionierten Laien-Orchester ein klasse Konzert mit: argentinische Tangos – Piazzolla 4 Jahreszeiten. Eigentlich meine Lieblingsmusik. Nach dem Konzert schwebte ich nicht auf Wolke 3, 4 oder 5, sondern 0, wollte zu meinem Dirigenten gehen, sagte es aber nicht: sagte es zu anderen: ein Scheiß-Konzert, wir haben gespielt wie die Automaten, tot, kein Gefühl… ich geh! und mit einem Krach schlug ich die Tür hinter mir zu – und verlor so die Hälfte meiner sozialen Kontakte. Wie nennt man so etwas? Sozialer Rückzug. Nach dem 11. 10. 2016 rief ich meinen Dirigenten an und erklärte ihm die wahren Hintergründe. Seine Antwort: Du kommst die nächste Orchesterprobe und nimmst deinen alten Platz in der ersten Geige wieder ein! Seither spielte ich wieder mit … und verzog mich langsam in die hinteren Ränge. Bis Corona kam…

Irgendwann musste ich doch mal zum Neurologen gehen.

Am 11. Oktober 2016 – so ein Datum merkt man sich – ging ich vom Zahnarzt gleich weiter zum Neurologen. Ich wartete 20 Minuten und wurde dann aufgerufen. Mein Gangbild bis zum Behandlungszimmer reichte dem mich beobachtenden Kollegen. Die Tür war noch nicht zu: „So eine Scheiß-Diagnose wie Sie möchte ich nicht haben?“ – „Wie meinen?“ – „Sie können sich die Parkinson-Leitlinie im Internet runterladen. Aber ich bin besser.“ Auf diese Art erfuhr ich offiziell meine Diagnose. Die Diagnose überraschte mich nicht – insgeheim wusste ich sie schon seit Jahren – wohl aber die Art der Diagnoseübermittlung. Ich fragte: „Ist dies die Art, wie Sie einem Patienten eine Dauerdiagnose mitteilen?“ – „Wieso? Warum…?“

Gleich anschließend fand ich eine sehr nette Neurologin.

Ich denke, so eine oder eine ähnliche Geschichte kann jeder von uns erzählen. Und die meisten werden mit mir übereinstimmen:

  1. Die Zeit, in der man durch die Welt eiert und nur weiß: irgendwas stimmt nicht, diese Zeit ist eine blöde Zeit.
  2. Wir alle verdrängen die Wirklichkeit, und aus meiner Geschichte seht ihr, dass es einem Arzt auch nicht anders geht. lm gewisser Hinsicht ist Verdrängung auch etwas Gutes – wir schützen uns noch eine Weile vor der blöden Diagnose.
  3. Frühsymptome: Beim klassischen, dem „Idiopathischen Parkinson-Syndrom“ gehen folgende Symptome den Bewegungsstörungen teils um Jahre voraus:
    • Anosmie = Riechstörungen, Nicht-Riechen oder Falsch-Riechen
    • manchmal Verstopfung (das hatte ich nicht)
    • Depressionen, in meinem Fall keine emotionale Schwingungsfähigkeit bei der Musik
  4. Erst Jahre später kommen die klassischen Bewegungsprobleme und stellt daran die Diagnose Parkinson-Syndrom fest.
    • Akinese, Hypokinese, Bradykinese
  • Das ist das Hauptsymptom des Parkinson!
  • A-kinese = wir bewegen manches von uns aus gar nicht,
  • Hypo-kinese = wir bewegen mit einem kleineren Bewegungsumfang
  • Brady-kinese = wir bewegen uns langsamer, „bedächtiger“, „vorsichtiger“. Vor allem rasche Bewegungen hin und her (Bewegung beim Glühbirneeindrehen oder mit Fingern auf die Tischdecke trommeln) geht nicht mehr schnell.
    • Rigor
  • Die Muskulatur wird steifer (mein Gefühl, das Fahrrad wäre schwergängig geworden)
  • Häufig im Nacken – lange Fehldiagnosen durch Orthopäden und viele Nackenbeschwerden
  • Manchmal „Zahnradphänomen“ beim passiven Beugen eines Armes
    • Tremor
  • Ist nicht das Hauptsymptom

Wie ist es Euch ergangen? habt Ihr Euch auch lange um die richtige Diagnose drum rum gedrückt?

 

Ich freue mich auf viele Rückmeldungen.

 

Und wie geht man dann mit der Diagnose um? Wem sagt man was? Was war schuld? Dazu schreibe ich was beim nächsten Mal.

 

Da tut eine klare Diagnosenennung eher gut.

 

Wie waren Eure Erfahrungen? Es grüßt Euch herzlich

Johannes